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.Meine Lektüre wurde mit der gleichenStrenge wie früher überwacht; außer-halb der speziell für Kinder bestim-mten oder im Hinblick auf sie gerein-igten Literatur bekam ich nur einekleine Zahl von ausgewählten Werkenin die Hände; noch dazu übten sehr495/1746häufig meine Eltern eine Zensur übergewisse Stellen aus.Sogar in L Aiglonglaubte mein Vater so manchesstreichen zu müssen.Im Vertrauen je-doch auf meine Loyalität schlossenmeine Eltern den Bücherschrank nichtab; in La Grillère durfte ich die ge-bundenen Bände der Petite Illustrationmit mir nehmen, nachdem darin dieStücke bezeichnet waren, die für mich9 geeignet: schienen.In den Ferienhatte ich immer zu wenig zu lesen; alsich Primerose und Les Bouffons been-det hatte, betrachtete ich gierig dieMenge von bedrucktem Papier, die inReichweite im Gras lag.Seit langem496/1746schon gestattete ich mir kleinere Aktedes Ungehorsams; meine Mutter hattemir verboten, zwischen denMahlzeiten zu essen; auf dem Landeaber trug ich jedes Mal in meinerSchürze ein Dutzend Äpfel mit mirfort: Keinerlei gesundheitlicheNachteile hatten mich für diesen Über-griff bestraft.Seit meinen Gesprächenmit Madeleine zweifelte ich, dassSacha Guitry, Flers und Caillavet,Capus oder Tristan Bernard schädlich-er für mich sein würden.Ich wagtemich auf verbotenes Terrain.Icherkühnte mich sogar, mich an Bern-stein und Bataille zu wagen, und trug497/1746keinerlei Schaden davon.Unter demVorwand, ich werde mich ganz auf dieNächte von Musset beschränken, set-zte ich mich in Paris mit einem dickenBand seiner vollständigen Werke zurLektüre nieder und las das ganzeTheater, Rolla, die Confession d un en-fant du siècle.Von nun an bediente ichmich jedes Mal, wenn ich allein imHaus war, ganz nach Belieben ausdem Bücherschrank.In dem Lederses-sel verbrachte ich wundervolle Stun-den damit, die ganze Sammlung derNeunzig-Centime-Romane zu ver-schlingen, die Papa in seiner Jugendentzückt hatten: Bourget, Alphonse498/1746Daudet, Marcel Prévost, Maupassant,die Brüder Goncourt.Sie vervoll-ständigten meine sexuelle Erziehung,wenn diese auch immer noch etwaslückenhaft blieb.Der Liebesaktdauerte manchmal eine ganze Nacht,manchmal ein paar Minuten, zuweilenschien er eine ganz dumme Sache zusein und manchmal überaus genuss-reich; er war von Raffinements undVariationen begleitet, die mir ein Buchmit sieben Siegeln blieben.Die of-fensichtlich fragwürdigen Beziehun-gen der 9 Civilisés: von Farrère zuihren Boys oder die zwischen Claudineund ihrer Freundin Rézi verwirrten die499/1746Frage noch mehr.Ob es nun aus Man-gel an Talent oder aufgrund der Tat-sache war, dass ich gleichzeitig zu vielund zu wenig wusste: Jedenfallsgelang es keinem dieser Schriftsteller,mich so tief im Innern zu bewegen wieeinst Christoph von Schmid.Alles inallem setzte ich diese Erzählungenkaum zu meinem eigenen Erleben inBeziehung; ich war mir klar darüber,dass sie größtenteils eine bereits un-tergegangene Gesellschaft schilderten;abgesehen von Claudine und Ma-demoiselle Dax von Farrère in-teressierten mich die Heldinnen al-berne junge Mädchen oder500/1746oberflächliche Damen von Welt nurwenig; die Männer kamen mir höchstmittelmäßig vor.Keines dieser Werkevermittelte mir ein Bild der Liebe odereine Vorstellung von meinem Frauen-los, das befriedigend für mich gewesenwäre; ich suchte in ihnen nicht eineVorahnung meiner Zukunft; aber sieschenkten mir, was ich bei ihnensuchte: Sie entführten mich in andereBereiche.Dank ihnen überschritt ichdie Grenzen meiner Kindheit, ich tratin eine komplizierte, abenteuerreiche,unvorhergesehene Welt ein.Wennmeine Eltern abends ausgingen,dehnte ich oft die Freuden dieses501/1746Entrinnens bis tief in die Nachtstun-den aus; während meine Schwesterschlief, lehnte ich in meinem Kop-fkissen und las; sobald ich den Schlüs-sel im Schloss sich umdrehen hörte,löschte ich das Licht; am Morgen,nachdem ich mein Bett gemacht hatte,schob ich das Buch unter die Matratzeund wartete den Augenblick ab, wo iches wieder an seinen Platz stellen kon-nte.Es war unmöglich, dass Mama vondiesen Manövern ahnen konnte; zuwei-len aber schauderte ich bei dembloßen Gedanken, dass die Demi-vi-erges oder La Femme et le Pantin ver-steckt auf meinem Lager ruhten.Von502/1746meinem Standpunkt aus hatte meinVerhalten nichts Tadelnswertes: Ichzerstreute und belehrte mich; insofernmeine Eltern mein Bestes wollten,handelte ich ihnen nicht entgegen; daja meine Lektüre mir nicht schlechtbekam.Wäre jedoch mein Tun offen-kundig geworden, wäre es mit einemSchlage verbrecherisch gewesen.Paradoxerweise stürzte mich geradeeine erlaubte Lektüre in alle Schreckn-isse der Schuld.Wir hatten im Unter-richt Silas Marner gelesen und über-setzt.Bevor wir in die Ferien reisten,kaufte mir meine Mutter auch nochAdam Bede.Unter den Pappeln des503/17469 Landschaftsparks: sitzend, verfolgteich Tage hindurch geduldig dieEntwicklung einer langwierigen, einklein wenig faden Handlung.Plötzlichentdeckte nach einem Waldspazier-gang die unverheiratete! Heldin,dass sie schwanger war.Mein Herzbegann heftig zu schlagen: Wenn nurMama dieses Buch nicht las, denndann würde sie wissen, dass ich eben-falls 9 wusste: : Diesen Gedanken ver-mochte ich einfach nicht zu ertragen.Nicht, dass ich einen Tadel fürchtete,ich selber konnte ja nichts dafür.Aberich hatte panische Furcht vor dem,was in ihrem Kopf vorgehen würde.504/1746Vielleicht würde sie sich gezwungenglauben, ein Gespräch mit mir zuführen: Diese Perspektive entsetztemich, weil ich an dem Stillschweigen,mit dem sie bisher allen Problemendieser Art begegnet war, ihre Abnei-gung ermaß, das Thema mir ge-genüber freiwillig anzuschneiden.Fürmich war das Vorhandensein von ledi-gen Müttern eine objektive Tatsache,die mich nicht stärker beunruhigte alsdie Existenz der Antipoden
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