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.Immer noch konnte sie seine winzigen fuchtelnden Fäustchen vor sich sehen, als die Hebamme, eine Lakaiin, ihn ans andere Ende des Labors getragen hatte, um ihn zu waschen und ihn in ein schlichtes weißes Handtuch zu hüllen.Sie konnte immer noch seine Augen sehen – blaugrün und mandelförmig wie ihre eigenen, undsein dermaglyphen bedecktes Köpfchen mit dem seidi-gen schwarzen Haarschopf, genau wie ihr eigenes.Ihr Sohn musste auch ihre sonokinetische Gabe von ihr geerbt haben, genau wie seine Gen-Eins-Stärke und Kraft von der Kreatur, die ihn gezeugt hatte.Die Gabe, die Corinne ihrem Sohn mitgegeben hatte, war etwas, das Dragos ihm nicht nehmen konnte.Diese Fähigkeit würde ihn immer als ihren Sohn auszeichnen, egal was 245Dragos ihm angetan hatte in all den Jahren, die er ihn nach seinen perversen Zielen und Idealen abrichten konnte.Ihr Sohn hatte auch einen Namen.Corinne hatte ihn ihm zugeflüstert in dem Augenblick, als sie ihm im Entbindungsraum zum ersten Mal in die Augen geschaut hatte.Er hatte sie gehört, auch wenn er erst wenige Minuten auf der Welt war, da war sie sich ganz sicher.Und er hatte sie auch rufen und weinen hören, als die Hebamme ihn einen Augenblick später auf Nimmerwieder-sehen fortgetragen hatte.Gott, wie viele Tage, Wochen und Monate – wie viele Jahre hatte sie darum getrauert, dass er aus ihrem Leben verschwunden war? Und jetzt wurde ihr ganz elend bei der Vorstellung, in was er da hineingeboren worden war und was in den dreizehn Jahren unter Dragos’ Kontrolle aus ihm geworden sein musste.Eine verzweifelte Hoffnung regte sich in ihr.Vielleicht war ihm eine solch schreckliche Existenz ja ers-part geblieben.Vielleicht hatte man ihn ihr zu einem anderen Zweck weggenommen.Vielleicht hatte man ihn nicht mit einem tödlichen UV-Halsband an Dragos’Launen gekettet und gezwungen, als Tötungsmaschine zu existieren, ohne zu wissen, wer er wirklich war, ohne dass ihn jemand in den Arm nahm, ihn tröstete und liebte.Und wenn er tatsächlich einer der vielen Gen-Eins-Jungen war, die Dragos als Killer in seinem Labor züchtete? Dann hatte er dieser entsetzlichen Sklaverei viel-246leicht irgendwie entfliehen können, Hunter hatte es ja auch geschafft.Oder vielleicht lebte ihr Sohn überhaupt nicht mehr.Eine Schrecksekunde lang wünschte sie sich sogar, er wäre tot, wenn auch nur, um ihm die trostlose Existenz zu ersparen, die Hunter ihr beschrieben hatte.Aber er lebte.Das wusste sie, so wie jede Mutter es wusste, egal wie lange sie ihr Kind nicht mehr gesehen hatte oder wie weit sie von ihm entfernt war.In ihrem tiefsten Inneren spürte sie deutlich, dass ihr kleiner Junge immer noch am Leben war.Irgendwo …Die Aussichtslosigkeit, ihn zu finden, wenn sie noch nicht einmal wusste, wo sie nach ihm suchen sollte, lastete schwer auf ihr, als sie allein auf dem Zementklotz saß und in die riesige, leere Einöde hinausstarrte, die wahrscheinlich einmal ein hübsches Wohnviertel in einem Vorort von New Orleans gewesen war.Jetzt war davon so gut wie nichts mehr übrig.Die Familien in alle Winde zerstreut, die Häuser vernachlässigt und verfallen, unzählige Menschen auseinandergerissen von einer Naturgewalt, der sie völlig machtlos ausgeliefert gewesen waren.In den Jahrzehnten ihrer Gefangenschaft bei Dragos hatte sie ihren eigenen Sturm überstanden.Noch hatte er sie nicht besiegt, noch nicht gewonnen.Und solange sie lebte, würde ihm das auch nicht gelingen.Sie konnte nur beten, dass ihr Sohn auch so wider-standsfähig war.247Hunter war es doch auch gelungen zu fliehen und ein neues Leben zu beginnen.Aber andererseits hatte Hunter den Orden gehabt, um ihm aus seiner früheren Existenz herauszuhelfen.Er hatte Mira gehabt, die den ent-scheidenden Hoffnungsschimmer in ihm geweckt hatte, dass es überhaupt eine Chance, einen Ausweg für ihn gab.Was hatte ihr Sohn?Er wusste nicht, dass es jemanden gab, der ihn liebte und befreien wollte.Er konnte nicht wissen, dass es Hoffnung für ihn gab, so klein sie auch war; dass jemand sich danach sehnte, ihn zu finden und ihm das Leben zu geben, das er verdiente.Aber Corinne wusste nicht, wo ihr Sohn war, geschweige denn, ob er überhaupt gerettet werden konnte.Und dann waren da noch Hunter und der Orden.Für sie war ihr Sohn nur eine weitere von Dragos’ Tötungsmaschinen, die zu zerstören sie sich alle geschworen hatten– vor allem Hunter, der von allen am besten wusste, wie gefährlich die anderen seiner Spezies waren.Der Orden hatte Dragos und allen, die ihm dienten, den Krieg er-klärt, und das aus gutem Grund.Sie würden ihr Kind als Feind betrachten.Obwohl sie gar nicht daran denken wollte, machte ein entsetzter Teil von ihr sich Sorgen, dass sie damit wo-möglich recht hatten.Corinne wischte sich mit dem Handrücken die feuchte Wange ab, als Hunter aus dem Haus nebenan kam.Er sah sie dort sitzen und stapfte zu ihr herüber, eine dunk-248le Silhouette gegen den schwachen Schein der aufziehenden Morgendämmerung.Seine großen schwarzen Kampfstiefel knirschten im schlammverkrusteten Gras, und bei jedem wiegenden Schritt seiner langen, muskulösen Beine flatterte sein Mantel wie ein schwarzes ledernes Segel hinter ihm her.Beim Näherkommen machte er ein finsteres Gesicht.»Warum bist du aus dem Wagen gestiegen?«Sie wischte hastig die letzte Träne fort.»Ich mag keine engen Räume.Außerdem war es eine lange Nacht, und ich bin müde.«Er blieb vor ihr stehen und starrte fragend zu ihr hinunter.»Du weinst.«»Nein.« Ihre Lüge war nicht sonderlich überzeugend, aber zu ihrer Erleichterung ging Hunter nicht weiter darauf ein.Er starrte auf ihren Mund, und sein Stirnrunzeln verstärkte sich.»Deine Lippe blutet wieder.«Instinktiv tastete sie mit der Zunge nach dem kleinen Riss, den der andere Killer ihr in der Nacht beigebracht hatte.Sie schmeckte Blut – nur einen Hauch, kein Grund zur Beunruhigung.Aber Hunters Augen waren immer noch auf sie gerichtet.Seine Pupillen zogen sich zusammen, und in seinen goldenen Iriskreisen blitzten bernsteinfarbene Lichtfunken auf.»Die Morgendämmerung kommt«, sagte er, und seine Stimme war ein tiefes, heiseres Knurren.»Komm mit mir.Das Haus steht schon länger leer, als Unterschlupf ist es in Ordnung.«249Sie stand auf und folgte ihm.In dem verlassenen Haus roch es nach Schimmel und sauer nach Salzwasser und getrocknetem Schlamm.Hunter ging voran und zog die steifen Vorhänge zu, die immer noch über dem zerbrochenen Wohnzimmerfenster hingen.Über ihren Köpfen ließ ein Deckenventilator die hölzernen Flügel hängen wie eine umgedrehte Tulpe, völlig verquollen vom Hochwasser, das die ganze Gegend tagelang über-schwemmt hatte.Nur wenige Möbelstücke waren im Haus geblieben außer den zerschmetterten Erinnerungen, den abgeblätterten Tapeten und den staubbedeckten Trümmern, die den Boden übersäten.Hunter stieg darüber hinweg und suchte den besten Weg für sie.Er blieb vor einem offenen Durchgang in der Diele stehen und winkte ihr hi-neinzugehen.»Ich habe da drin eine Ecke freigemacht, damit du dich eine Weile hinlegen kannst.«Corinne ging zu ihm hinüber und schaute hinein.Der Fußboden war größtenteils freigefegt von der Dreck-schicht, die das übrige Haus bedeckte.Eine dünne, schlammverkrustete Matratze war gegen die rückwärtige Wand gestellt worden, festgeklemmt hinter einer massiven, vom Sturm ruinierten Kommode
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